Der Pionier - Zum 85. Geburtstag von Dieter Hochgesand, der den Sportjournalismus verändert hat
- ralfweitbrecht3
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Als Dieter Hochgesand überraschend die Seiten gewechselt hat, hat ihm Felix Mussil, der große Karikaturist seiner Zeitung, der Frankfurter Rundschau, zum Abschied was hübsch Hintergründiges gezeichnet: nämlich wie Dieter Hochgesand im Stadionbad vom Zehn-Meter-Brett ins kalte Wasser springt, lächelnd natürlich. Das war 1991, und es war der Moment, als der Journalist hd. rüber machte, von der Redaktionsstube in der Großen Eschenheimer in den Stadtwald, zur Stadion GmbH; wo er die letzten Jahre seines Berufslebens als Geschäftsführer tätig war. Das Bild hängt hinter Glas heute noch in Hochgesands Büro, in Tübingen, dort, wo er seit vielen Jahren zu Hause ist.
1991 war das, wie gesagt, es war eine Zäsur für die Zeitung, aber auch für den Mann, der seit 1969 jahrzehntelang den Sportteil der FR geprägt hat wie kaum ein Zweiter, der eine andere Herangehensweise im Sport etabliert hat, weg von der 1:0-Berichterstatung, hin zur Suche nach der Geschichte hinter dem Ereignis. Er war es, der seinerzeit das Schreiben über Fußball veränderte, ja vielleicht sogar revolutionierte. Er hat den Sportjournalismus, er hat das Schreiben über Fußball seinerzeit auf eine höhere Ebene gestellt, hat soziologische Aspekte herausgearbeitet, sportwissenschaftliche, gesellschaftliche, psychologische.
Und es war für ihn auch eine Abkehr des Immergleichen, von Stadion zu Stadion, im Herbst seiner Karriere suchte er, wie es heute heißt, noch einmal die Herausforderung, und fand sie auch. Er hatte Lust auf Neues, und ein bisschen blieb er ja in seinem Metier – selbst wenn es jetzt mehr um Organisatorisches ging.
Den Sportteil der FR wie kaum ein Zweiter geprägt
Bald 35 Jahre ist das jetzt her, eine Ewigkeit, selbst das Rostock-Trauma war da noch weit weg, die Eintracht-Trainer hießen Jörg Berger oder Dragoslav Stepanovic. Dino Toppmöller, der aktuelle Coach, war elf Jahre alt, Andy Möller kickte noch und Uwe Bein, es gab Tennisplätze auf dem Stadiongelände und weder Flatterband, das Spieler und Journalisten trennte, noch Vereinsmitarbeiter, die jedes Wort per Audiomitschnitt für den Rest der Welt festhielten. Es war eine – für Sportjournalisten – bessere Zeit.
Knapp 35 Jahre sind seitdem ins Land gezogen, es ist kühler geworden, aber Dieter Hochgesand mischt immer noch mit, allerdings nicht an Schreibmaschine oder Laptop. Er ist am 8. Oktober, man glaubt es kaum, 85 Jahre alt geworden, er lebt weiterhin im beschaulichen Tübingen, kauft sich zuweilen noch die FR, ist guter Dinge, interessiert, rüstig, und wenn nicht eine hartnäckige Erkältung ihn ausgebremst hätte, wäre er unlängst gar auf die Bretter getreten, die für manche die Welt bedeuten: Michael Quast hatte ihn als Referent für die Frankfurter Volksbühne im Großen Hirschgraben vorgesehen, „90+6“ heißt die Reihe.
Interviews mit Beckenbauer, Grabi und Holz direkt am Spielfeld
Was also soll man noch schreiben über einen, der den Frankfurter Sport, speziell den Fußball, die Nationalmannschaft und Eintracht Frankfurt journalistisch so lange begleitet und geprägt hat? Dass er Beckenbauer noch beim Einlauf im Waldstadion (mit Laufbahn) interviewt hat, mit Grabi und Holz? Mit Gyula Lorant Zigarre geraucht und leidenschaftlich mit Dietrich Weise im Café Hauptwache diskutiert hat? Dass er bei Welt- und Europameisterschaften in der ersten Reihe stand? Dass er Tennis und Golf spielte und ein charmanter Plauderer war und ist? Dass er Bücher geschrieben hat, darunter sogar ein bemerkenswertes über Frauenfußball, „Früchte des Traums“, und kluge Kommentare sowieso? Gerade im Frauenfußball hat er sich viele Meriten verdient, zu einer Zeit, da die Spielzeit noch zweimal 40 Minuten währte, ein Kaffee-Service als Preis für einen Europameistertitel ausgelobt war und generell Berichte über Kickerinnen die große Ausnahme waren? Er hat die Fußballerinnen der SG Praunheim trainiert, hat sie auf Augenhöhe mit dem FSV Frankfurt gehievt, hat Pionierarbeit geleistet.
Aber eigentlich wissen das alle, die ein Stück des sehr erfolgreichen Wegs gemeinsam mit Dieter Hochgesand gegangen sind. Und noch gehen werden.
Thomas Kilchenstein
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