Interview von VFS-Mitglied Frank Hellmann, erschienen in der Frankfurter Rundschau am 16. März 2022, mit Silke Sinning vom Hessischen Fußball-Verband, die neu in das DFB-Präsidium gewählt wurde.
Die Sportwissenschaftlerin Silke Sinning über ihren Wahlsieg gegen Rainer Koch, ihre Aufgaben im neuen DFB-Präsidium und ihre große Sorgen im Frauen- und Mädchenfußball.
Frau Sinning, Sie sind durch die Wahl ins neue DFB-Präsidium in aller Munde, weil Sie sich in einer Abstimmung gegen Rainer Koch durchgesetzt haben, Was hat Sie animiert, sich in den DFB-Gremien Schritt für Schritt hochzuarbeiten?
Ich war selber Fußballspielerin, teilweise Spielführerin bei der SG Beisetal und später auch Spielertrainerin bei den Frauen des SC Schwarz-Weiß Zennern. Dann habe ich mich ehrenamtlich auf Kreisebene für den Frauen- und Mädchenfußball engagiert. Ich habe recht schnell gemerkt, dass hier eine Menge Herausforderungen warten und mich für ein Bezirksamt zur Verfügung gestellt und gegen eine Gegenkandidatin durchgesetzt. Vier Jahre später ist dasselbe beim Hessischen Fußballverband passiert. Man muss dafür viel Mut und Veränderungswillen aufbringen.
Sind Ihnen Steine in den Weg gelegt worden?
Mir wurde meist respektvoll begegnet. Vielleicht hat auch mein Professorinnentitel dafür gesorgt, dass sich der eine oder andere zurückgehalten hat (lacht). Aber trotzdem hatte ich häufiger das Gefühl, dass unter den Männer viele Dinge einfach schon abgesprochen sind. Da habe ich mich schon häufiger gewundert, warum hat eigentlich mich keiner vorher mal angerufen.
Sie wirkten in Bonn nach Ihrer Wahl ins DFB-Präsidium sehr ergriffen. Sie haben damit wahrscheinlich nicht gerechnet.
An jenem Morgen hatte ich meiner Tochter zugesagt, dass ich den Mut aufbringen würde, tatsächlich anzutreten. Nach meiner Rede hatte ich gehofft, einen Achtungserfolg zu erhalten. Dass ich die Wahl so deutlich gewinnen würde, damit hatte ich nie gerechnet. Für mich ist es eine große Herausforderung, nun auch den Süddeutschen Verband zu vertreten und zu unterstützen. Aber dieses überwältigende Ergebnis verschafft mir Respekt und gibt mir Rückenwind. Wir sind nun vier Frauen im DFB-Präsidium, mit Heike Ullrich bald fünf. Von einer sind wir hoch auf fünf. Das finde ich ganz stark.
Warum hatten es Frauen denn bislang so schwer, in Führungspositionen zu kommen?
Zwei Aspekte sind hier erst einmal zu trennen: Es gibt hauptamtliche Mitarbeiter, bei denen sich Männer wie Frauen für ein bestimmtes Aufgabenfeld bewerben können. Da wird auch beim DFB darauf geschaut, dass kein Geschlecht benachteiligt wird. Dann gibt es aber die ehrenamtliche Ebene. Dort bewerben sich in der Regel nicht mehrere Personen auf eine Position. Da ist einfach das Beharrungssystem der Männer sehr groß. Außerdem stehen nur alle drei, vier Jahren Wahlen an, so dass es lange dauert, bis eine Person „oben“ ankommt.
Braucht es eine Frauenquote, um dieses System aufzubrechen?
Erst einmal bin ich sicher, dass es genügend Frauen mit Expertise gibt, um sich in die Arbeit auf Kreis-, Verbands- oder Landesebene einzubringen. Trotzdem halte ich im Ehrenamt eine Quote für gut. Und gleichermaßen bin ich am Freitag auch eines Besseren belehrt worden, dass selbst im DFB-Präsidium nun gleich deutlich mehr Frauen auch ohne Quote gewählt wurden. Letztlich ist es wichtig – wie bei vielen anderen Situationen auch –, dass die Verantwortlichen Veränderungen wirklich wollen und dass sich auch die Frauen bereit erklären. Was mir aber auch am Herzen liegt, ist, dass vermehrt junge Menschen in den Ausschüssen sitzen sollten – das gehört für mich gleichermaßen zur Diversität, um den Fußball zukunftsfähig zu machen.
Es gab einen Vorstoß der Frauen-Initiative „Fußball kann mehr“ um Katja Kraus, die für weitreichende strukturelle Veränderungen für mehr Frauen im Fußball eingetreten ist. Wurden Sie auch angesprochen?
Ich wurde nicht um eine Mitarbeit gebeten, aber ich habe den Kontakt vor unserem letzten Verbandstag in Hessen gesucht. Die Frauen um Katja Kraus können stolz sein auf das, was sie angeschoben haben.
Ein Gesicht der Initiative ist Nationaltorhüterin Almuth Schult, die kein Blatt vor den Mund nimmt.
Ich erlebe sie als kritische Frau, die gerne Impulse gibt, sich neu zu justieren und zu diskutieren – deswegen ist sie eine wichtige Persönlichkeit. Generell könnte sie auch dem DFB helfen, gerade im gesellschaftlichen Bereich. Ich könnte sie mir gut als Quereinsteigerin vorstellen, allerdings habe ich ja keine Jobs zu vergeben.
Was haben Sie für sich als Schwerpunkte der Arbeit ausgemacht?
Meine Themen Nachhaltigkeit und Diversität habe ich in den letzten Monaten durchgängig kenntlich gemacht. Die möchte ich natürlich auch weiterhin stützen, selbstverständlich gern gemeinsam mit Celia Sasic. Ich kann mir aber auch andere Schwerpunkte vorstellen. Final wird sich dies in den kommenden Tagen im Austausch mit Bernd Neuendorf und den anderen Präsidiumsmitgliedern klären.
Sie haben keine Berührungsängste mit dem Profilager. Sie haben im Team von Peter Peters deutlich gemacht, dass der deutsche Fußball nur gemeinsam vorankommt.
Es muss deutlich werden, dass die DFL genauso ein Mitglied des DFB ist wie alle anderen Regional- und Landesverbände auch. Natürlich verfügt die Liga über große Einnahmen, und mein Wunsch wäre, dass die DFL einen großen Betrag in einen Fonds einzahlt, aus dem sich die Landesverbände mit bestimmten Projekten bedienen können, wobei die DFL mitbestimmen sollte, wofür diese Gelder verwendet werden; beispielsweise für die Talentförderung oder den Frauenfußball. Ob eine solche Variante umsetzbar wäre, müssen die Verantwortlichen gemeinsam klären. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass damit ein großer Imagegewinn für alle verbunden sein könnte.
Sie sind seit zehn Jahren Mitglied des Ausschusses für Frauen- und Mädchenfußball im DFB, dann wissen Sie, dass die Zahlen der aktiven Mädchen und Frauen dramatisch rückläufig sind. Zuletzt wies die Mitgliederstatistik nur noch 131 487 aktive Fußballerinnen aus. Fünf Jahre zuvor waren es noch doppelt so viele. Macht Ihnen das Sorge?
Da müssen wir uns richtig Sorgen machen. Wir können kein Spielbetrieb, keine Förderung der Spitze betreiben, wenn immer weniger Frauen Fußball spielen. Alarmierend sind auch die Rückgänge bei den Mädchen. Wir konnten in Hessen die Rückgänge bei den Mannschaften nur halten, weil wir unseren Spielbetrieb mit verschiedenen Modellen extrem flexibilisiert haben. Viele Vereine bekommen nicht einmal ein Neuner-Team zusammen. Zum Glück gab es bei den letzten Schnuppertagen wieder einen regen Zulauf.
Fehlen die weiblichen Vorbilder, weil die deutschen Fußballerinnen zuletzt nicht mehr erfolgreich waren?
Ich habe das nicht untersucht, deswegen kann ich keine klare Antwort geben. Aber wir haben bei Jungs und Mädchen den größten Schwund in den Altersklassen, bei denen die Pubertät eintritt: Da sind Training und Wettkampf oft einfach nicht mehr interessant genug. Uns haben B-Juniorinnen beispielsweise erzählt, dass ihnen Spieltermine am Sonntagmorgen nicht passen, weil sie am Samstagabend gerne ausgehen. Bei diesen Themen müssen wir das Ohr viel stärker an der Basis haben.
Wie kann es denn gelingen, mehr Mädchen mit Migrationshintergrund für den Fußball anzusprechen? Man muss nur mal die Frauen- und Männer-Nationalmannschaft dahingehend vergleichen, dass es hier ein offenkundiges Problem gibt, das der DFB aber fast totzuschweigen scheint.
Grundsätzlich finde ich, dass es Frauen in typisch männlich geprägten Sportarten wie Boxen oder Fußball heutzutage leichter haben als Männer, die sich für weiblich zugeschriebene Sportarten wie Synchronschwimmen, Ballett oder Eistanzen interessieren. Tatsächlich diskutiert auch die Wissenschaft darüber, in welchen eher männlich geprägten Sportarten Mädchen vermehrt Eingang finden. Für die Vereine ist es schwierig, in tradierte Familienstrukturen reinzukommen, wo noch der Mann die klassische Führungsposition innehat. Deshalb sind für mich der Kindergarten und die Schule der erste Ansatz, hier Angebot zu erstellen.
Warum?
Wenn die Mädchen sich hier für den Fußball begeistern, dann schaffen sie es auch, ihren Vater zu überzeugen, dass sie Fußball im Verein spielen wollen. Und da geht es für mich auch um eine soziale Nachhaltigkeit, weil Kinder und Jugendliche in den Vereinen solidarisches, respektvolles und demokratisches Verhalten und Miteinander lernen. Das müssen wir viel stärker in den Mittelpunkt rücken. Eltern sollen ihre Jungs und Mädchen zum Fußball schicken, weil sie dort neben der sportlichen Entwicklung ganz viele soziale Kompetenzen vermittelt bekommen. Das würde auch das Image des Fußballs wieder verbessern.
Interview: Frank Hellmann
Zur Person
Silke Sinning ist seit 2010 Professorin für Sportpädagogik und -didaktik sowie Sportsoziologie der Universität Koblenz-Landau. Die 52-Jährige gehört unter anderem seit zehn Jahren dem Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball im DFB an, ist seit 2008 Vorsitzende des Frauen- und Mädchenfußballausschuss des Hessischen Fußball-Verbandes und arbeitet seit 2011 als Vorsitzende des Frauenfußballausschusses des Süddeutschen Fußballverbandes mit. Sie wohnt in Knüllwald im Schwalm-Eder-Kreis in Hessen und hat eine Tochter. hel.
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