Unser Thommy war schon da, als die Mäuse noch durch die Duschen am ollen Riederwald spaziert sind. Er hat sie alle kommen, spielen und gehen sehen, manche sind geblieben für immer, wenige nur, aber immerhin. Thommy kennt sie alle, den Grabi und den Holz, den Nickel, auch den Charly, natürlich. Er schwärmte, später, für Tony Yeboah und die Pässe des Uwe Bein, und dann dieser junge Jay-Jay Ockocha, ja, der Jay-Jay, der spielte so Fußball, wie es der Thommy liebt. Nicht wie diesen tumben Wadenbeißer, die er auch gerne „Ballwegschießer“ nennt, nein, eher verschnörkelt, zaubernd, mit der Spitze und der Hacke, brillant, genial, auch verrückt, wie Rastelli, ein Freigeist. So ein bisschen wie unser Thommy mit dem Bleistift, da bevorzugt er die feine Klinge, die sanften Pointen, er schreibt, wie andere Fußball spielen: verschnörkelt, lyrisch, er malt Bilder mit Worten, weil er es kann, unser Thomas Kilchenstein, auch liebevoll Kilchi gerufen, der jetzt tatsächlich 65 Jahre alt geworden ist. 65. Freunde, wo ist die Zeit geblieben?
Der Frankfurter Bub biegt, beruflich, auf die Zielgeraden ein, geht in sein letztes Jahr als Redakteur für seine FR, für die er fast ein halbes Jahrhundert gewerkelt hat, der er immer treu geblieben ist. So ist er auch, der liebende Ehemann und Familienvater, loyal, erdverbunden, verlässlich, eine reine Seele.
Thomas Kilchenstein ist eine Institution im Frankfurter Sport, er verfolgt die Eintracht-Kicker seit den 80-er Jahren auch beruflich, früher war er mit seinem Papa schon im Waldstadion, in der Jugend hat er mit dem Adler auf der Brust gestürmt, schnell war er damals wie der Wind. Hat dann aber trotzdem nicht ganz geklappt mit der großen Karriere als Profi, obwohl er ein toller Fußballer ist, Techniker, klarer Zehner, stark am Ball bis heute. Dann eben die Zeitung.
Kil, so sein Kürzel, war fast mal Meister, 1992, er hat das Drama an der Ostsee erlebt, aus sicherer Entfernung, aber geschmerzt hat es ihn unendlich. Er, eigentlich Lehrer und auch Fachmann für Bogenschießen, hat Fußball 2000 begleitet, sich mit Ohms und Stepi gefetzt, dem Manager Hölzenbein die Leviten gelesen. Thommy hat nie jemanden geschont während seiner Karriere als Eintracht-Berichterstatter, er ist zwar nicht gerne da hingegangen, wo es wehtut, das konnten andere machen, aber er konnte unerbittlich sein in der Sache, hart in der Meinung, streng in seinem Urteil. Manchmal vielleicht etwas vorschnell, mal bei Seb Haller nachfragen.
Trotzdem ist er mit den meisten gut ausgekommen, den kauzigen Ehrmantraut mochte er, auch Jörg Berger, unter Klaus Toppmöller spielte die Eintracht so versonnen und verzückend, dass sich der noch fast junge Kilchi zu dem Satz hinreißen ließ: „Wie soll diese Mannschaft noch ein Spiel verlieren, wer soll diese Mannschaft schlagen?“ Es kam, wie immer, anders. Den Veh fand der Thommy gut, den Funkel auch, selbst wenn dieser dem notorischen Skeptiker mal ins Stammbuch schrieb: „Herr Kilchenstein, bei Ihnen ist das Glas nie halbvoll, immer halbleer.“ Na und?
Nur mit diesem Michael Skibbe kam er nicht so wirklich gut klar, das ging sogar so weit, dass Zuspätkommer Skibbe um ein Gespräch bei unserem Vorgesetzten bat. Das hat es davor und auch danach nicht mehr gegeben. Aber Kilchi hat natürlich auch den Skibbe überlebt bei der Eintracht, wie alle anderen auch, sogar den alten Herri Bruchhagen, mit dem er so manchen Strauß auszufechten hatte.
Kilchenstein, Brasilien-Liebhaber durch seine reizende Gattin, mag keine Linkmichel und keine Flunkerei, er ist anständig, glaubt fest an das Gute, nennt sich selbst schon mal ein bisschen naiv, Ungerechtigkeit mag er nicht und auch keinen Wortbruch. Fast persönlich verletzt war er daher, als die Trainer Niko Kovac und Adi Hütter die Eintracht verließen – nicht weil sie gingen, das ist normal in diesem Geschäft, sondern weil sie falsch spielten, hinhielten, taktierten. Was er davon hielt, hat Kilchenstein ihnen geschrieben – in seiner Zeitung, die ein großer Teil seines Lebens war und noch immer ist und wahrscheinlich immer bleiben wird.
Für Thomas Kilchenstein, der gerne auch mal barfuß durch die Redaktion scharwenzelt und sympathischer Weise auch ein Freund härterer musikalischer Klänge ist (nur das mit Phil Collins muss man nicht verstehen), hat die letzte Saison als Redakteur begonnen, und wir freuen uns, dass er noch da ist und eben genau so, wie wir ihn schätzen: anständig, kollegial, hilfsbereit, einer, der nicht perfekt ist (wer ist das schon?), auch mal störrisch, aber auf den man sich blind verlassen kann, der mehr als ein Kollege ist, nämlich ein Freund, ein guter Freund.
Ingo Durstewitz
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