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  • rweitbrecht

Störenfried Sportjournalist



Arbeitsplatz Stadion - Zutritt verboten?

Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes enthält zahlreiche Grundrechte, die eine freie Kommunikation schützen. Absatz 1 von Artikel 5 garantiert die Meinungsfreiheit. Dieses Grundrecht schützt die Freiheit, Meinungen frei zu äußern und zu verbreiten. Hiermit eng verbunden ist die Freiheit von Presse, Rundfunk und Film. Auch gewährleistet der Artikel die Informationsfreiheit. Jedermann hat ein Recht darauf, sich aus allgemein zugänglichen Informationsquellen ungehindert zu unterrichten.


Der Berufsverband der deutschen Sportjournalisten diskutiert aktuell über Meinungsfreiheit und Meinungshoheit in der Berichterstattung. Denn Profi-Sportteams, hierzulande vor allem Fußballvereine, senden über digitalen Medien eigene Themen ungefiltert an die Fans. Weil deren emotionale Verbundenheit zum Klub so groß ist, konsumieren sie in der Regel ganz unkritisch diese gelenkten Informationen. Vereine sind heute auch Medienhäuser, sie beanspruchen für sich die Deutungshoheit und erreichen dank der digitalen Kanäle oft viel mehr Menschen als klassische Medien. Der FC Bayern München ist auch Social-Media-Meister und bedient rund um die Uhr etwa 80 Millionen Nutzer. Durch die digitale Transformation werden unabhängige Journalisten immer mehr zu Störenfrieden, die von den Vereinen, also Managern, Trainern und Spielern, aber nicht zuletzt auch von den Fans angegangen werden, wenn Darstellungen und Kommentierungen nicht in die rosarote Klub-Welt zu passen scheinen. Dass sich (Sport-)Journalisten nicht vereinnahmen und instrumentalisieren lassen, ist eine nicht mehr immer und überall geschätzte Leitlinie.


Es gab und gibt immer wieder Versuche, Einfluss auf Berichterstattung von unabhängigen Medien zu nehmen. Mal werden Interviews generell verweigert, dann geführte Gespräche nicht freigegeben oder Inhalte im Nachhinein so stark verändert, dass eine Veröffentlichung nur noch absurd wäre. Kommentare werden als Majestätsbeleidigung empfunden, die mit Kontaktsperre bestraft wird. Auch die F.A.Z., deren Sportteil unter den Ressortleitern Karlheinz Vogel und Steffen Haffner sein großes und bis heute bewahrtes Renommee erlangt hat, kennt diese Mechanismen, konnte sich aber immer erwehren. "Das besondere Ansehen der F.A.Z. in der Gesellschaft hat die Sportredaktion wie auch andere Ressorts gegen Übergriffe geschützt", erinnert sich Steffen Haffner. "Wir haben natürlich immer wieder gehört, wie kleineren Zeitungen des Öfteren mit dem Entzug von Anzeigen gedroht und manchmal nicht nur gedroht wurde."


Ein Ereignis verdient es, nähert beleuchtet zu werden, weil es den Geist der F.A.Z. beschreibt und deutlich macht, wie man als Journalist mit Druck und Drohung umzugehen hat. Im Sommer 1970 kämpften die Offenbacher Kickers um den Aufstieg in die Fußball-Bundesliga. 1968 waren sie schon einmal in die höchste Spielklasse auf-, dann aber 1969 umgehend wieder abgestiegen. Horst-Gregorio Canellas war der Klub-Vorsitzende, und er hielt sich vielleicht für allmächtig, als er die F.A.Z für "tendenziöse Berichterstattung" rügte und dem Reporter Hans-Joachim Leyenberg gleich auch noch per Einschreibebrief ein Stadionverbot für den Bieberer Berg aussprach. Am 10. Juni 1970, einem Mittwoch, spielten die Kickers zuhause gegen den VfL Bochum in der Aufstiegsrunde. Hans-Wolfgang Pfeifer, Anwalt und Geschäftsführer der F.A.Z., reagierte ganz gelassen. Mit den unschlagbaren Argumenten, dass der Deutsche Fußball-Bund Veranstalter der Aufstiegsrunde sei und die Stadt Offenbach Eigentümerin des Stadions Bieberer Berg, machte er dem Klub, wiederum per Brief, deutlich, dass er weder Ausrichter war noch das Hausrecht ausübte. Canellas' Vorstoß war juristisch ausgehebelt.


In F.A.Z. und Frankfurter Rundschau erschienen Kommentare gegen Canellas und sein seltsames Selbstverständnis. Die Sportjournalisten der Region hatten unterdessen schon ihre Solidarität mit der F.A.Z. bekundet: Sollte Leyenberg tatsächlich ausgesperrt werden, würden sie ebenfalls nicht das Stadion betreten. Das Spiel endete 2:1 für die Kickers, und in der F.A.Z. erschien der Bericht von Leyenberg, dem sich im Stadion niemand entgegengestellt hatte. Die Kickers stiegen kurz darauf auf, blieben aber wieder nur ein Jahr in der Bundesliga. Das brachte ihnen den Namen "Fahrstuhlmannschaft" ein. Am Ende der Abstiegssaison sorgte Canellas nochmals für Aufsehen, diesmal mit nachhaltigen Folgen: Er enthüllte den Bundesliga-Skandal. Rot-Weiß Oberhausen und Arminia Bielefeld gelang es nur aufgrund durch Bestechung manipulierter Spiele, in der Bundesliga zu bleiben.


Nachdem am letzten Spieltag der Abstieg der Kickers feststand, machte Canellas auf der Feier zu seinem 50. Geburtstag öffentlich, dass bei einigen Spielen geschoben worden war. Um die Manipulationen nachweisen zu können, war Canellas selbst zum Schein auf Bestechungsangebote eingegangen und hatte dabei heimlich Tonbandmitschnitte gemacht. Der Skandal und dessen Folgen erschütterte Fußball-Deutschland lange. Im Übrigen legte Canellas einige Zeit vor seinem Tod im Jahr 1999 bei einer Begegnung mit Leyenberg Wert auf die Feststellung, dass er das Stadionverbot in der Rückschau bedauere. Solche Bekenntnisse sind heutzutage kaum mehr zu erwarten.


Jörg Hahn


(Der Text ist erschienen in der F.A.Z.-Beilage „70 Jahre – Die Region und ihre Zeitung“ am 1. November 2019)

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