Dieser Text ist erstmals in der Frankfurter Neuen Presse erscheinen, zum 90. Geburtstag von Walther Tröger im Februar 2019. Er war vielmals Gast des VFS beim Sportpresse-Ball oder auch beim Weinabend. Tröger ist am 30. Dezember 2020 verstorben.
Der Diplomat
Der heutige Leistungssport sähe ohne den Sportpolitiker aus Frankfurt anders aus – seine Ideen haben Vermarktung, Athleten-Rechte und auch den Behindertensport geprägt.
Am Anfang seines Berufslebens, nach dem Jura-Studium, hatte Walther Tröger den Gedanken, in den diplomatischen Dienst einzutreten – im Wiederaufbau-Deutschland eines erzkatholischen Bundeskanzlers Adenauer ließ sich das aber wegen des falschen (evangelischen) Gebetbuches nicht verwirklichen. Das Angebot, als Jurist am US-Wiedergutmachungsgericht in Nürnberg zu arbeiten, lehnte er ab - obwohl er dafür 1000 Mark pro Monat erhalten hätte. Stattdessen wurde aus seiner Sportleidenschaft, die er als Student im Basketball, im Handball, beim Tennis und in der Leichtathletik ausgelebt hatte, ein begeisterndes Berufsfeld fürs Leben. Heute, zur Vollendung des 90. Lebensjahres, sagt Professor Tröger: „Internationale Beziehungen haben mich immer interessiert, Zusammenarbeit, Fairplay. Ich habe mich für junge Menschen einsetzen wollen. Das habe ich doch in meinem Beruf exzellent umsetzen können.“ Manchmal hätte er sich „Monate mit sechs Wochen“ gewünscht, denn er zog Ämter und Aufgaben gerade magnetisch an. Zu den Herausforderungen im deutschen Sport, wo er von 1961 an über vier Jahrzehnte lang das Nationale Olympische Komitee als Generalsekretär und schließlich als Präsident steuerte, kamen viele internationale Projekte und Positionen. Im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) sorgte er von 1983 bis 1990 als erster Sportdirektor überhaupt für wichtige Weichenstellungen was das Sportprogramm und die Rolle der Athleten betraf oder auch die Vermarktung. Das IOC war in jener Zeit alles andere als vermögend. Als „sportlicher Außenminister“ des IOC und Leiter zahlreicher Kommissionen weltweit im Dauereinsatz zu sein, empfand er nie als Belastung. Und Tröger war sogar noch Gründer des Internationalen Paralympischen Komitees, also Wegbereiter des modernen Behinderten-Leistungssports. „Ich habe als Ein-Mann-Betrieb viele Dinge erledigt, an denen heute im IOC Dutzende oder gar Hunderte Menschen arbeiten.“ 1989 wurde er auch IOC-Mitglied, er blieb es bis zum Erreichen der Altersgrenze mit 80 im Jahr 2009. Auch dem Deutschen Basketball-Bund – dessen Vizepräsident er lange war - diente er mit besonderer Hingabe. Im Vereins- und Stiftungsvorstandes des Deutschen Sport- und Olympia-Museums engagierte er sich ebenso zupackend wie in den Gremien der Stiftung Deutsche Sporthilfe. Eines schaffen alle Aufzählungen von Ämtern und Eherungen nicht: Seine Leidenschaft für Sport und Sportler zu charakterisieren.
Seit 1964 in Tokio hat Tröger 27 Olympische Spiele in Serie in für die deutsche Mannschaft Funktionen – häufig als „Chef de Mission“ – miterlebt (Ausnahme 1980 beim Boykott in Moskau). Die Winterspiele 2018 in Pyeongchang in Südkorea waren die ersten Spiele seit Jahrzehnten ohne ihn. „Das war schon ein bisschen schwer, weil ich so viele Freunde nicht treffen konnte.“ 2020, wenn die Sommerspiele wieder in Tokio stattfinden, möchte er noch einmal dabei sein. In Japan soll sich ein Kreis schließen.
Dass er schon als sportlicher Student gerne und strukturiert in Gremien und Ausschüssen mitgearbeitet hatte, war für ihn der Türöffner zur Karriere. Der damalige Präsident des Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverbandes (ADH), Helmut Meyer, holte Tröger 1953 als Generalsekretär in die Organisation. Um deren große Bedeutung zu verstehen, muss man wissen, dass es dem ADH in den Nachkriegsjahren als erstem deutschen Sportverband gelang, wieder Anschluss an den internationalen Sportverkehr zu finden. Und die „III. Internationale Sommer-Hochschulsportwoche“ in Dortmund war 1953 die erste internationale Spitzensportveranstaltung auf bundesdeutschem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg. Allerdings war diese Veranstaltung für den ADH ein finanzielles Desaster, Tröger musste die Kasse in Ordnung bringen. In der ersten Zeit war das Geld so knapp, dass er sich in Dortmund, wo damals noch die Geschäftsstelle angesiedelt war, kein Zimmer leisten konnte. Er habe drei Monate lang in einem Raum schlafen müssen, erzählt Tröger schmunzelnd, den tagsüber der im selben Haus residierende Deutsche Handball-Bund als Büro nutzte. Ein gewisser Wim Thoelke hatte dort seinen Schreibtisch. Der damalige Geschäftsführer der Handballer wurde später im ZDF als Sportmoderator („Aktuelles Sportstudio“) und Showmaster („Der Große Preis“) berühmt.
Helmut Meyer, der 1970 als Leitender Direktor des Deutschen Sportbundes (DSB) einer der wichtigsten Entscheider im bundesdeutschen Spitzensport wurde, und Tröger verloren sich nie mehr aus den Augen, sie arbeiteten oft wenige Schritte voneinander entfernt. 1961 erhielt Tröger den Ruf zum DSB (als Zuständiger für Internationale Arbeit) und zum Nationalen Olympischen Komitee (NOK), zu einer Zeit, als er sich bereits Gedanken darüber gemacht hatte, ob er im Studentensport als „Funktionär in kurzen Hosen“ weitermachen wollte. Er zog nach Frankfurt, Sitz von NOK und DSB (die 2006 zum Deutschen Olympischen Sportbund fusioniert worden sind). Seit damals lebt Tröger im Westend im selben Haus, wenige Gehminuten von der Alten Oper entfernt.
Im Jahr 1961 wurde DSB-Präsident Willi Daume in Personalunion auch Präsident des NOK, und der Mauerbau vertiefte die deutsche Teilung. Beide Ereignisse muss man gemeinsam betrachten, denn das schwierige Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR prägte Trögers Arbeit lange Zeit ebenso wie der große Traum Daumes. Olympische Spiele in die noch junge Bundesrepublik zu holen und damit der ganzen Welt ein anderes Land zu präsentieren als das verbrecherische Regime bis 1945, das strebte Daume an. 1966 erkämpften er und der damalige Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel den Zuschlag für die Spiele 1972. Tröger arbeitet von Anfang an im Organisationskomitee mit, und ihm fiel unter anderem die Aufgabe zu, die Unterbringung von rund 10.000 Athleten, Trainer, Betreuern zu organisieren, München baute dafür eine eigenes. hochmodernes Quartier nördlich von Schwabing. Als „wunderschöne Aufgabe“ hat Tröger diese Zeit in Erinnerung, Er wurde dann offiziell „Bürgermeister“ des Olympischen Dorfes, für das er Neuheiten wie Kino, Einkaufsstraße und Ökumenische Kirche einführte. Es gab noch getrennte Dörfer für Frauen und Männer. „Über das Frauen-Dorf sollte ich dem damals in Deutschland neu erscheinenden ‚Playboy‘ einen Bericht schreiben“, berichtet Tröger. „Ich habe das gemacht, aber es ist nie etwas erschienen, und ich habe er nie wieder vom ‚Playboy‘ gehört.“ Die Eröffnung des Dorfes inszenierte Tröger für die Medien mit einem von ihm ausgesuchten „Athleten Nummer eins“, es war der Basketballspieler Holger Geschwindner. Muss man den Namen heute noch kennen? Immerhin hat Geschwinder als persönlicher Trainer und Mentor Dirk Nowitzki zu einem Weltstar aus Deutschland gemacht. Die Namen und die Stationen machen deutlich, dass Tröger immer im Zentrum des Sportgeschehens zuhause gewesen ist.
Wenn Tröger über München 1972 spricht, sprudeln die Details nur so. Über die schwärzesten Stunden in der olympischen Geschichte berichtet er minutiös. Am Morgen des 5. September überfielen acht Terroristen ein Quartier der israelischen Mannschaft in Trögers Olympischen Dorf, ein israelischer Sportler wurde sofort erschossen, ein weiterer starb kurz darauf, neun wurden zu Geiseln gemacht. Palästinensische Häftlinge in Israel sowie die deutschen Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof sollten freigepresst werden. Tröger gehörte natürlich zum Krisenstab, unter anderem neben Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, der telefonisch zwischen Bundeskanzler Willy Brandt und Israels Regierungschefin Golda Meir vermittelte. Die Terroristen zitierten Tröger als Ansprechpartner zu sich. „Ich habe mich dabei auch, ohne meine Familie vorher informieren, als Austauschgeisel angeboten. Aber darauf gingen sie nicht ein.“ Es habe zwölf Unterredungen gegeben. „Von Stunde zu Stunde wurden alle nervöser.“ Die harte Haltung der Bundesregierung und Polizeifehler, so formuliert es Tröger mit diplomatischen Worten, hätten die vielleicht mögliche Rettung der Geiseln vereitelt. Geiseln und Gangster verließen das Olympische Dorf per Hubschrauber zum Flugfeld Fürstenfeldbruck, ein dilettantischer Befreiungsversuch endete dort mit einer Tragödie. Alle Geiseln kamen in der Nacht zum 6. September ums Leben, ebenso ein Polizist und fünf der Terroristen. Aufgrund einer Falschmeldung über die angebliche Rettung dachten viele Menschen am nächsten Morgen noch, die Befreiung wäre gelungen. Die Wirkung der wahren Schreckensnachricht war umso schlimmer. Israels Mannschaft reiste ab – nicht ohne Tröger eine Botschaft mit auf den Weg zu geben: „Sorge dafür, dass die Spiele weitergehen, haben sie gesagt, beugt Euch nicht dem Druck.“ Dies habe er in der Krisenbesprechung an IOC-Präsident Avery Brundage weitergegeben und daraus sei die Formel „The games must go on“ bei der Trauerfeier vor 80.000 Menschen im Olympiastadion entstanden. „Dies haben damals nicht alle verstanden, wir sind auch sehr kritisiert worden dafür, dass wir die Spiele nicht abgebrochen haben. Doch es war der Wunsch der Israelis, und es ist die Haltung gewesen, die heute in der westlichen Welt unumstritten ist, wenn Terror unser Leben bedroht.“ In den Jahren nach München hat Tröger oft Hinterbliebene getroffen.
Tröger, dessen Vater in der Nazizeit vom berüchtigten Volksgerichtshof wegen Hochverrats verurteilt wurde, hat die universellen Werte des Sports immer als großartige Möglichkeit aufgefasst, weltweit für Freiheit, Frieden und Fortschritt einzutreten. Warum es nach 1972 nicht mehr gelungen ist, wieder Olympische Spiele nach Deutschland zu holen, analysiert er nüchtern in zwei Sätzen: „Als Berlin für das Jahr 2000 Bewerber war, war es nicht mehr die geteilte Stadt, sondern eine Stadt wie jede andere, der gedachte Vorteil war dahin. Später war es Unvermögen, das alle weiteren Bewerbungen zum Scheitern verurteilt hat.“ Seit 2002 ist Tröger im deutschen Sport zwar noch in vielen Ehrenämtern präsent, aber im NOK wurde er auf eine Art und Weise abgelöst, die er selbst so beschreibt: „Es war ein Abschuss aus dem Hinterhalt, keine Abwahl.“ Die aktuelle Sportpolitik kommentiert er deshalb, wenn überhaupt, sehr zurückhaltend. Deutlich wird: Er hätte gerne länger Verantwortung getragen, um mit anderen Personen und Strukturen mehr für den gesellschaftlichen Stellenwert des Sports zu erreichen. Was er genießt, sind die Treffen „seiner“ früheren Olympiamannschaften und die Termine der „Gemeinschaft deutscher Olympiateilnehmer“, deren Ehrenpräsident Tröger ist. Dieses Netzwerk schweißt Athleten über die Sportkarriere hinaus zusammen und lebt von gegenseitiger Wertschätzung. Dass Sport viel mehr ist als ein paar Zahlen in Statistiken, ist die inspirierende Botschaft dieser Gemeinschaft.
Jörg Hahn
Audio und Videobeiträge zum Tod von Walther Tröger auf hessenschau.de
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