„Märchenerzähler“ und „Heldinnen“
6. Sportethischer Fachtag in Evangelischer Akademie Frankfurt lotet Beziehungen zwischen Sport und Medien aus
„Journalismus hat Zukunft. Diese Zukunft liegt im guten Journalismus!“ Mag sein, dass das Fazit von Hans Leyendecker sehr stark vom Blick zurück geprägt war. Denn der Grandseigneur des Investigativen Journalismus befindet sich nun schon seit einigen Jahren im Ruhestand. Aber wer seinen Vortrag „Wir und die Anderen – Sportjournalismus zwischen ,Buschi‘ und Hajo Seppelt“ verfolgt hat, der konnte seinen Schlussfolgerungen viel abgewinnen. Schlussfolgerungen, die der langjährige Redakteur bei Spiegel und Süddeutscher Zeitung sowie hochgelobter Autor aus seinem Rückblick auf die Entwicklung des Sportjournalismus in unserem Land zog. Und damit den Einführungsvortrag des 6. Sportethischen Fachtags der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in der Evangelischen Akademie in Frankfurt bestritt.
Die Hybridveranstaltung des Instituts im Schatten des Frankfurter Römers beleuchtete unter der Leitung von Eugen Eckert und Hanna-Lena Neuser für das Sportethische Forum der EKD etliche (aktuelle) Aspekte des Sportjournalismus, fußte aber auf den einleitenden Ausführungen Leyendeckers. Der die Sicht eines „ehemaligen Journalisten, der nie in einer Sportredaktion beheimatet war, aber gerne für den Sport geschrieben hat“, darbot. Der nur zu gut noch die Zeit rekapitulieren kann, als Sportjournalisten in den Redaktionen nicht als vollwertig galten. Was anfangs durchaus eine gewisse Berechtigung gehabt habe. Seien doch viele Protagonisten direkt aus dem Sport gekommen, oft eher als Fan denn als kritischer Berichterstatter aufgetreten und nicht selten ungenügend ausgebildet gewesen.
Doch das habe eine starke Veränderung erfahren. „Nach meiner Einschätzung hat sich der Sportjournalismus positiv entwickelt, sehr positiv.“ Bei der Süddeutschen Zeitung sei er sogar zum „Aushängeschilds des Blatts“ geworden. Insgesamt seien aus Außenseiter der Redaktion Aufsteiger geworden. Im Blick auf die derzeitige Situation gebe es „herausragenden und ganz schlechten“ Sportjournalismus. Mit vielen kritischen und neuen Themen wie Rassismus, Homosexualität und Korruption, aber auch mit „vielen nichtssagenden Klicks“, was vor allem auf den gewaltigen Veränderungen im Fußball-Journalismus basiere. In den kleineren Zeitungen bekämen gerade die Sportredaktionen (und dazu die „Feelancer“) die negativen Folgen dieser Veränderungen zu spüren. Was Leyendecker aber nicht daran hinderte, die eingangs zitierte Prognose in den Raum zu stellen.
Einmal mehr interessant waren die anschließenden „Impulse und Irritationen“, in denen vor allem Vertreter und Vertreterinnen aus der Branche einzelne Aspekte besonders beleuchteten. Oder etwas von außerhalb. Wie Prof. Michael Roth. Der Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie und Sozialethik in Mainz sah es als „ethisch besonders spannend“ an, wie Journalisten mit dem Faktum der Nähe und der Distanz zu den Sportlern umgehen. Eine große Kumpanei könne genauso hinderlich sein wie eine (zu) große Distanz, hat Roth festgestellt. Ein Problem ist für ihn dem Sportjournalismus inhärent: „Ohne Nähe, ohne das Hineintauchen gibt es keine Sportberichterstattung.“ Die Grenze aus sportethischer Sicht sei überschritten, wenn der Sport an sich nicht mehr angemessen dargestellt werde. Und noch ein interessanter Rothscher Ansatz: Letztendlich seien Sport und Spiel im Blick auf die reale Wirklichkeit zweckfrei und überflüssig. Wenn man diesen Gedanken weiterspinne, seien Sportjournalistinnen und Sportjournalisten „Märchenerzähler“.
Demgegenüber berichteten drei weiteren Referenten handfest aus dem Innenleben des Sportjournalismus und streifte Andre Keil ein ganz spezielles, aber nicht minder interessantes Spezialthema.
So berichtete Andreas Schirmer als Nachrichtenagentur-Journalist (dpa) und sah sich als Sprachrohr für die Zeitungen, von denen es immerhin noch rund 340 Tages- und Wochenzeitungen (mit 13 Millionen Abonnenten, inklusive 2,4 Millionen E-Paper-Beziehern) gebe. Die Branche befinde sich in einem „fundamentalen Wandel“, die digitale Transformation laufe auf Hochtouren. Und in einem gewissen Widerspruch zu Hans Leyendecker sieht Schirmer den kritischen Qualitätsjournalismus immer mehr in den Hintergrund treten. Themen des Breitensports spielten so gut wie keine Rolle mehr, die sportliche Vielfalt sei Mangelware. Themen der Sportpolitik seien allenfalls im Zusammenhang mit Fußball gefragt. Es gebe kaum ein Sportportal, das nicht mit Fußball aufmache. Schirmers Fazit: „Es ist noch allemal viel Luft nach oben im Sportjournalismus.“
Das sieht auch ZDF-Sportreporterin Claudia Neumann so. Allerdings unter der Vorgabe „Höchste Zeit für Heldinnen im Sport!“ Die habe es schon immer mal gegeben, wie Tennis-Star Steffi Graf oder im Alpinen Skisport und später im Biathlon. Letztendlich habe der Fußball und die Berichterstattung darüber die Vielfalt des Sports aber im Keim erstickt. Andererseits sei der Fußball mit seinen Frauen jetzt ein Vorreiter geworden, ein „eigenständiger Markt, immer professioneller und wertiger“. Das sieht Neumann als Aufforderung, auch andere Sportarten medial zu begleiten, wobei die Fernseh-Frontfrau zugesteht, dass Individualsportarten (da besser geeignet für „storytelling“) besser dastünden als Mannschaftsportarten. Gerade im weiblichen Bereich.
Dagegen brach Martina Knief vom Hessischen Rundfunk eine Lanze für die Sportberichterstattung im Radio. Das sei immer noch das schnellste Medium, führte die Vorsitzende des Vereins Frankfurter Sportpresse (VFS) ins Feld. „Wir begeistern die Menschen am Radio. Wir reportieren noch und sind ganz nah dran“, schilderte sie die Vorteile ihres Mediums. Beim Hörfunk würden Bilder im Kopf kreiert, um anderen das Spiel näherzubringen. So sei die samstägliche Bundesliga-Konferenz immer noch ein „Evergreen im Radio“, ein bundesweites Erfolgsmodell. Wohl auch im Blick auf Claudia Neumann gestand Martina Knief ein, dass Sportreporterinnen bei der Fußball-Berichterstattung immer wieder Steine in den Weg gelegt würden.
Einen ganz besonderen Aspekt des Sportjournalismus beleuchtete Andre Keil. Der Chef vom Dienst beim NDR in Mecklenburg-Vorpommern und Präsident des Verbandes Deutscher Sportjournalisten (VDS) wies seiner Zunft eine „treibende Rolle im Aufarbeiten der Sportgeschichte der DDR“ zu. Nach dem Ende der (parteiischen) Rolle des Sportjournalismus unter den Diktatur-Bedingungen Ostdeutschlands habe hier eine Renaissance des kritischen und investigativen Journalismus begonnen. Die Kollegenschaft bei diesen Themen sei „überschaubar“ geblieben, habe aber „sehr erfolgreich“ gearbeitet. Doch in den vergangenen sechs Jahren habe sich die Situation grundlegende gewandelt mit den internen Querelen im Dopinghilfe-Verein. Diese Zerwürfnisse hätten sogar dazu geführt, dass gesicherte Erkenntnisse inzwischen angezweifelt würden. „Die rationale journalistische Bewertung ist auf der Strecke geblieben“, hat Keil festgestellt. Und ganz schlimm: „Die Geschädigten erleben ihre zweite Traumatisierung.“
Was für Thorsten Latzel, unter anderem „Sportbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland“, mit ein Grund war, in seinem Fazit darauf abschließend einzugehen. Mit der Forderung, dass die Medien gerade auch die „Verletzungsgeschichten und Schattenseiten“ erzählen müssten. Passend, kurz vor der Passionszeit.
Albert Mehl
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